DER MENSCH UND DAS MEER
Freier mensch! das meer ist dir teuer allzeit ·
Es ist dein Spiegel · das meer · du kannst dich beschauen
In seiner wellen unendlichem rollendem grauen ·
In deinem geist ist ein abgrund nicht minder weit.
Ziehst es an dich mit auge und hand – deine sinne
Halten manchmal im eigenen tosen inne
Bei dem geräusch dieser klage unzähmbar und wild.
Beide lebt ihr in finstrer und heimlicher flucht.
Meer noch sind unentdeckt deine kostbarsten Schlünde!
Euer geheimnis bewahrt ihr mit eifersucht.
Und seit unzähligen jahren rollet ihr weiter
Ohne mitleid ohne reuegefühl ·
Unversöhnliche brüder! ewige streiter!
L'Homme et la mer
Homme libre, toujours tu chériras la mer!
La mer est ton miroir; tu contemples ton âme
Dans le déroulement infini de sa lame,
Et ton esprit n'est pas un gouffre moins amer.
Tu te plais à plonger au sein de ton image;
Tu l'embrasses des yeux et des bras, et ton coeur
Se distrait quelquefois de sa propre rumeur
Au bruit de cette plainte indomptable et sauvage.
Vous êtes tous les deux ténébreux et discrets:
Homme, nul n'a sondé le fond de tes abîmes;
Ô mer, nul ne connaît tes richesses intimes,
Tant vous êtes jaloux de garder vos secrets!
Et cependant voilà des siècles innombrables
Que vous vous combattez sans pitié ni remords,
Tellement vous aimez le carnage et la mort,
Ô lutteurs éternels, ô frères implacables!
— Charles Baudelaire
Entsteigst du dem himmel oder den nächtlichen schlünden ·
O schönheit? dein blick zugleich höllisch und göttlich rein
Giesst durcheinander die wolthaten aus und die sünden –
Und deshalb magst du dem weine verglichen sein!
Du schüttelst düfte wie eine gewitternacht ·
Dein kuss ist ein filter und dein mund eine schale
Die helden zu feiglingen · kinder zu tapferen macht.
Enttauchst du dem abgrund oder entschwebst du den himmeln?
Du lässest nach laune freude und unheil wimmeln ·
Du lenkest alles und nie gibst du rechenschaft.
Du trittst über tote · o schönheit · und höhnst unsre leiden ·
Die schrecknis ist dir ein schmuck der dich reizvoll umschmiegt ·
Das schmeichelnd an deinem stolzen leibe sich wiegt.
Der falter flattert geblendet hinauf zu dir – kerze!
Er knistert und spricht verbrennend: ich segne dich licht!
Es beugt sich · ein sterbender der sein grabmal herze ·
Komm du nur aus himmel aus hölle · gleichviel welchen orten!
O schönheit bald maasslos erschrecklich und bald wie ein kind!
Erschliesst nur dein lächeln dein blick und dein fuss mir die pforten
Des alls das ich liebe die stets mir verschlossen sind!
Mach nur · sammtäugige zauberin · dass nicht zu sehr
– O klang duft und licht! o herrin die ich ersehne! –
Die erde mir hässlich ist und der augenblick schwer!
Ein jeder Mensch, der wert ein Mensch zu sein,
Fühlt tief im Herzen eine Schlange wohnen,
Sie lebt und herrscht da wie auf Königsthronen,
Und sagt er: »Ja, ich will!«, so sagt sie: »Nein!«
Senkt er die Blicke voller Glut und Sehnen
Tief in der Nixen Augen, der Sirenen,
So spricht der Natter Zahn: »Gedenk der Pflicht!«
Erzeugt er Kinder oder pflanzt er Bäume,
Schafft er aus Worten oder Marmor Träume,
»Lebst du heut abend noch?« die Schlange spricht.
Was auch der Mensch erhoffen mag und planen.
Kein Augenblick an ihm vorüberschwingt,
In dem nicht quälend an sein Denken dringt
Der giftigen Schlange unerträglich Mahnen.
L'Avertisseur
Tout homme digne de ce nom
A dans le coeur un Serpent jaune,
Installé comme sur un trône,
Qui, s'il dit: «Je veux,» répond: «Non!»
Plonge tes yeux dans les yeux fixes
Des Satyresses ou des Nixes,
La Dent dit: «Pense à ton devoir!»
Fais des enfants, plante des arbres,
Polis des vers, sculpte des marbres,
La Dent dit: «Vivras-tu ce soir?»
Quoi qu'il ébauche ou qu'il espère,
L'homme ne vit pas un moment
Sans subir l'avertissement
De l'insupportable Vipère.
Betrachte sie, mein Herz; furchtbar zu sehn.
Wenn sie, fast lächerlich, wie Puppen schreiten
Und gleich Nachtwandlern seltsam vorwärts gleiten,
Lichtlose Kugeln, ach wonach nur? drehn.
Die Äugen, drin erlosch der Götterfunken,
Sind starr zum fernen Himmel hingelenkt,
Nie siehst du erdwärts ihren Blick gesenkt,
Nie auf die Brust ihr träumend Haupt gesunken.
So ziehn sie durch ein weites, schwarzes Land,
Das ewigem Schweigen brüderlich verwandt.
O Stadt, indes du unter Lachen, Toben
Voll Gier nach Lust und Taumel bist entbrannt,
Schleich ich wie jene, ärmer an Verstand,
Und frag': Was suchen sie am Himmel droben?
Les Aveugles
Contemple-les, mon âme; ils sont vraiment affreux!
Pareils aux mannequins; vaguement ridicules;
Terribles, singuliers comme les somnambules;
Dardant on ne sait où leurs globes ténébreux.
Leurs yeux, d'où la divine étincelle est partie,
Comme s'ils regardaient au loin, restent levés
Au ciel; on ne les voit jamais vers les pavés
Pencher rêveusement leur tête appesantie.
Ils traversent ainsi le noir illimité,
Ce frère du silence éternel. Ô cité!
Pendant qu'autour de nous tu chantes, ris et beugles,
Eprise du plaisir jusqu'à l'atrocité,
Vois! je me traîne aussi! mais, plus qu'eux hébété,
Je dis: Que cherchent-ils au Ciel, tous ces aveugles?
Aus der natur belebten tempelbaun
Oft unverständlich wirre worte weichen ·
Dort geht der mensch durch einen wald von zeichen
Die mit vertrauten blicken ihn beschaun.
In tiefer finsterer geselligkeit ·
Weit wie die nacht und wie die helligkeit
Parfüme färben töne rede tauschen.
Parfüme giebt es frisch wie kinderwangen
Und andre die verderbt und siegreich prangen
Mit einem hauch von unbegrenzten dingen ·
Wie ambra moschus und geweihter qualm
Die die Verzückung unsrer seelen singen.
Der Feind
Mein Kinderland war voll Gewittertagen,
Nur selten hat die Sonne mich gestreift,
Und so viel Bluten hat der Blitz zerschlagen,
Dass wenig Früchte nur mein Garten reift.
Nun kommt der Herbst, – ich muss zur Harke greifen,
Die Erde sammeln, die verwüstet schlief,
In die der Regen Risse grub und Streifen
Und manche Holde wie ein Grab so tief.
Doch ob den Blumen, die erhofft mein Träumen,
In dieses wild zerwühlten Ackers Räumen
Die Wundernahrung wird voll Glut und Kraft?
O Schmerz! die Zeit trinkt unsren Lebenssaft,
Der dunkle Feind, der uns am Herzen zehrt
Und sich von unsrem Blute stärkt und mehrt!
Das frühere Leben
Ich wohnte lang in weiter Hallen Schweigen,
Die abends in der Meeressonne Glut
Sich stolz erheben und zur blauen FlutIm hohlen Blick les' ich die nächtgen Qualen,
Und muss den Wahnsinn und den Schreck, den fahlen
Im stummen, angstgequälten Antlitz sehn.
Gossen sie Lieb' und Furcht aus ihren Schalen,
Die grünen Zwerge und die rosigen Feen?
Hat dich der Alb gepackt mit eisigem Wehn
Und dich erstickt in wilden Zauber quälen?
Ich wollt', dein Atem wäre stets voll Kraft,
Dass er nur starker Dinge Abbild schafft!
Des Blutes Rauschen rhythmischer Gesang,
Wie er in jenen alten Zeiten klang,
Als Phöbus und der grosse Pan regierten,
Des Liedes Vater und der Gott der Hirten.