Das
Bildnis kehrt das Innerste nach außen und ist zugleich Kommentar der
äußeren Inszenierung – es erfasst die ganze menschliche Gestalt. Die
Bilder von Angela Mathis sind anthropologische Untersuchungen, die die
Seele als greifbares Element menschlichen Daseins freilegen und ihre
Wirkung im Äußeren reflektieren. Sie sind Prototypen von
Seelenzuständen.
Angela Mathis Portraits sind ein Verwirrspiel. Lieber nicht zu eindeutig möchten sie sein, nicht zu direkt lesbar. Sie spielen mit der Illusion von Bewegung. Und sie spielen mit Rollenbildern, die in unserer Gesellschaft existieren. Um in A. Mathis Atelier zu gelangen, geht man durch eine hellblaue Tür mit goldenem Knauf. An der Tür läuft der Raum eng wie zu einem Hals zusammen. Dahinter öffnen sich die Wände, weiten sich. Der Raum ist geschnitten wie ein Kopf im Profil, mit einem Fenster in Augenposition. Der Raum wird zum Portrait, die Portraits lösen sich auf zu Flächen, werden zu Räumen. A. Mathis fächert den Portraitierten in verschiedene Ebenen metaphysischer und physischer Natur auf. Formal weisen die Arbeiten kubistische Merkmale auf. In der Arbeit Melancholie ist der Hintergrund in kräftigem Pink gehalten. Ansonsten ist dieses Portrait eher zeichnerisch und luftig. Das Profil einer Frau schält sich zart, sinnlich und demütig aus dem Hinterkopf. Der Hinterkopf wirkt sperrig, hat Kofferform. Der Resttorso läuft nach unten schlauchförmig zusammen. Der Kopf, die Brust wird zur Fläche. Die Form könnte auch ein erigierter Penis sein, an dessen linken Rand sich das Mädchenprofil drängt. An der Wand gegenüber des Eingangs hängt eine Abbildung aus einer Zeitschrift. Arnold Schwarzenegger in seinen besten Zeiten. Ein aufgepumpter Muskelpanzer, die Zuspitzung eines optimierten Selbstbildes. Es sind die verheimlichten Wahrheiten hinter dem Panzer, die interessieren. Angela Mathis sagt , dass es jedes Mal schief geht, wenn sie selbst versucht professioneller aufzutreten als sie ist. Aber wir sollen funktionieren in der Rolle, die wir uns aussuchen. Es sind abrufbare, erlernte Gesten, Inszenierungen, in denen wir uns gefallen, die wir wiederholen. Künstlerische Vorbilder für A. Mathis sind unter anderem Otto Dix und seine Portraits. Und Kippenberger, vor allem seine treffsicheren Titel, beeinflussten sie. Ironie ist wichtiger Bestandteil in ihrem Werk. Eine neue Arbeit von A. Mathis, kleinformatig, der Titel ist Die Erfassung eines Menschen. Da durch Firnis glänzend und dank seiner vielen Schichten Ölfarbe wirkt die Oberfläche wie aus Keramik. Es zeigt ein Faultier im Profil. Das Brustbild eines menschlichen Faultiers in seriöser Haltung. Ein Politiker oder Lehrer gefällt sich in solch erklärenden Gesten. Dieser Amtsträger begibt sich in Haltung und fächert gleichzeitig auf. Die Gliedmaßen befinden sich in Bewegung . Die engmaschigen Linienmuster im Portrait sehen aus wie Muskelgewebe, wie Muskelfasern. Sichtbare Muskeln demonstrieren Kraft. Sie sagen, ich bin unbesiegbar. Und trotzdem wirken die Bemühungen um Haltung und Form so vergeblich. Die Portraitierten befinden sich immer in Auflösung. Aber das ist mit dem Sichtbarmachen von Schönheit nicht unvereinbar. „ Schönheit bewegt mich, sonst nichts“, sagte Francis Bacon, auch ein Portraitmaler. Angela Mathis beobachtet. Sie bezeichnet sich selbst als Fischer, der mit seinem Schleppnetz durch die Gegend läuft, um Eindrücke einzufangen. Manchmal wirken die Portraitierten, die aus diesen vollen Netzen entstehen wie Akteure auf einer Bühne, Nachahmer der Ikonen von Film und Werbetafel. Die Werbetafeln als Bühnenbild für die Bühne auf der wir uns begegnen. Die großformatige Arbeit von 2016 mit dem TitelDer Nasenmann wirkt zeichnerisch. Ein Portrait, ein Kopf. Mit kubistischen Anleihen, Linien an Strichcodes erinnernd durchziehen den Nasenmann, eine kahle Tanne durchkreuzt diese „ Strichcodes“ orthogonal. Straff zurückgekämmtes Haar und eine gerade Haltung sind im Portrait konkret auszumachen. In der Technik wieder mehrschichtig und mit Firnis zum Glänzen gebracht ist die aktuelle Arbeit Abstrakte Attribute. Sie zeigt einen Halsstumpf, aus dem Hände ragen. Die Hände ranken wie Pflanzen Richtung Sonne. Nur eine Hand ziert sich divenhaft und unentschlossen. Immer wieder Symbole und Facetten aus Pflanzen- und Tierwelt. Sie prägen die Portraits, sie komplettieren sie. Vielschichtig, die Architektur des PortraitsThe Cubist, einer Arbeit von 2015. Ein Kopf, die Komposition besteht aus farbigen Prismen, Die Flächen leuchten beinah sakral auf. Hervorgehoben durch einen dunklen Hintergrund, der an den Sinnesorganen hervorbricht. Ein 2015 datiertes Bild fällt kompositorisch ein wenig heraus. Sein Titel Wo ist was? (The Headless)nimmt die Pointe des Bildes ironisch vorweg. Farblich in Schwarz-Weiß gehalten zeigt es eine nackte Figur, die an einem Baum lehnt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hat. Im Hintergrund Palmen und ein Bungalow. Eine Szenerie wie im sonnigen Kalifornien. Das Gesicht der Figur ist leer, die Gesichtszüge befinden sich im androgyn gehaltenen Schambereich. Ein weiteres Portrait. Die Askese lautet der Titel. Ein fester Dutt und ineinander verkrampfte Hände. Im Gegensatz dazu das Halbprofil einer Frau, die Fläche elegant von Farbflächen und Linien durchzogen, die musikalisch nachklingen. Die Linien ergeben eine Partitur