Der Raum, Das Portrait

Von  Marie Henin

Angela Mathis Portraits sind ein Verwirrspiel. Lieber nicht zu eindeutig möchten sie
sein, nicht zu direkt lesbar.
Sie spielen mit der Illusion von Bewegung. Und sie spielen mit Rollenbildern, die in unserer Gesellschaft existieren.
Um in A. Mathis Atelier zu gelangen, geht man durch eine hellblaue Tür mit
goldenem Knauf. An der Tür läuft der Raum eng wie zu einem Hals zusammen.
Dahinter öffnen sich die Wände, weiten sich. Der Raum ist geschnitten wie ein Kopf im Profil, mit einem Fenster in Augenposition. Der Raum wird zum Portrait, die Portraits lösen sich auf zu Flächen, werden zu Räumen.
A. Mathis fächert den Portraitierten in verschiedene Ebenen metaphysischer und
physischer Natur auf. Formal weisen die Arbeiten kubistische Merkmale auf.
In der Arbeit Melancholie ist der Hintergrund in kräftigem Pink gehalten. Ansonsten ist dieses Portrait eher zeichnerisch und luftig.
 Das Profil einer Frau schält sich zart, sinnlich und demütig aus dem Hinterkopf. Der Hinterkopf wirkt sperrig, hat Kofferform.
Der Resttorso läuft nach unten schlauchförmig zusammen. Der Kopf, die
Brust wird zur Fläche.
Die Form könnte auch ein erigierter Penis sein, an dessen linken Rand sich das
Mädchenprofil drängt.
An der Wand gegenüber des Eingangs hängt eine Abbildung aus einer Zeitschrift.
Arnold Schwarzenegger in seinen besten Zeiten. Ein aufgepumpter Muskelpanzer,
die Zuspitzung eines optimierten Selbstbildes.
Es sind die verheimlichten Wahrheiten hinter dem Panzer, die interessieren. Angela
Mathis sagt , dass es jedes Mal schief geht, wenn sie selbst versucht professioneller
aufzutreten als sie ist.
Aber wir sollen funktionieren in der Rolle, die wir uns aussuchen. Es sind abrufbare,
erlernte Gesten, Inszenierungen, in denen wir uns gefallen, die wir wiederholen.
Künstlerische Vorbilder für A. Mathis sind unter anderem Otto Dix und seine
Portraits. Und Kippenberger, vor allem seine treffsicheren Titel, beeinflussten sie.
Ironie ist wichtiger Bestandteil in ihrem Werk.
Eine neue Arbeit von A. Mathis, kleinformatig, der Titel ist Die Erfassung eines
Menschen. Da durch Firnis glänzend und dank seiner vielen Schichten Ölfarbe wirkt
die Oberfläche wie aus Keramik. Es zeigt ein Faultier im Profil. Das Brustbild eines
menschlichen Faultiers in seriöser Haltung. Ein Politiker oder Lehrer gefällt sich in
solch erklärenden Gesten.
Dieser Amtsträger begibt sich in Haltung und fächert gleichzeitig auf. Die
Gliedmaßen befinden sich in Bewegung . Die engmaschigen Linienmuster im Portrait
sehen aus wie Muskelgewebe, wie Muskelfasern. Sichtbare Muskeln demonstrieren
Kraft. Sie sagen, ich bin unbesiegbar.
Und trotzdem wirken die Bemühungen um Haltung und Form so vergeblich. Die
Portraitierten befinden sich immer in Auflösung. Aber das ist mit dem
Sichtbarmachen von Schönheit nicht unvereinbar.
„ Schönheit bewegt mich, sonst nichts“, sagte Francis Bacon, auch ein Portraitmaler.
Angela Mathis beobachtet. Sie bezeichnet sich selbst als Fischer, der mit seinem
Schleppnetz durch die Gegend läuft, um Eindrücke einzufangen.
Manchmal wirken die Portraitierten, die aus diesen vollen Netzen entstehen wie
Akteure auf einer Bühne, Nachahmer der Ikonen von Film und Werbetafel. Die
Werbetafeln als Bühnenbild für die Bühne auf der wir uns begegnen.
Die großformatige Arbeit von 2016 mit dem Titel Der Nasenmann wirkt
zeichnerisch. Ein Portrait, ein Kopf. Mit kubistischen Anleihen, Linien an Strichcodes
erinnernd durchziehen den Nasenmann, eine kahle Tanne durchkreuzt
diese „ Strichcodes“ orthogonal. Straff zurückgekämmtes Haar und eine gerade
Haltung sind im Portrait konkret auszumachen.
In der Technik wieder mehrschichtig und mit Firnis zum Glänzen gebracht ist die
aktuelle Arbeit Abstrakte Attribute . Sie zeigt einen Halsstumpf, aus dem Hände
ragen. Die Hände ranken wie Pflanzen Richtung Sonne. Nur eine Hand ziert sich
divenhaft und unentschlossen.
Immer wieder Symbole und Facetten aus Pflanzen- und Tierwelt. Sie prägen die
Portraits, sie komplettieren sie.
Vielschichtig, die Architektur des Portraits The Cubist, einer Arbeit von 2015. Ein
Kopf, die Komposition besteht aus farbigen Prismen, Die Flächen leuchten beinah
sakral auf. Hervorgehoben durch einen dunklen Hintergrund, der an den
Sinnesorganen hervorbricht.
Ein 2015 datiertes Bild fällt kompositorisch ein wenig heraus. Sein Titel Wo ist was? (The Headless) nimmt die Pointe des Bildes ironisch vorweg.
Farblich in Schwarz-Weiß gehalten zeigt es eine nackte Figur, die an einem Baum
lehnt und die Arme hinter dem Kopf verschränkt hat. Im Hintergrund Palmen und ein Bungalow.
 Eine Szenerie wie im sonnigen Kalifornien. Das Gesicht der Figur ist leer, die Gesichtszüge befinden sich im androgyn gehaltenen Schambereich.
Ein weiteres Portrait. Die Askese lautet der Titel. Ein fester Dutt und ineinander
verkrampfte Hände. Im Gegensatz dazu das Halbprofil einer Frau, die Fläche elegant
von Farbflächen und Linien durchzogen, die musikalisch nachklingen. Die Linien
ergeben eine Partitur