Wiederholung und Wunsch

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für Luis Lamprecht

Wiederholung und Wunsch


"Wenn die Wiederholung möglich ist, so gehört sie eher zur Ordnung des Wunders als der des Gesetzes.“ - Gilles Deleuze, Wiederholung und Differenz


Erst durch die Wiederholung eröffnet sich uns die Möglichkeit etwas Erfahrenes bewusst zu begreifen. Auch wenn diese Wiederholung von uns möglicherweise etliche Zeit unbewusst ausgelebt wird, ist sie doch ein Merkmal der Kontrolle über etwas. Kontrolle und Sicherheit finden wir beispielsweise darin an etwas festzuhalten, was wir dabei sind zu verlieren oder bereits verloren haben. Wir umklammern dieses fragile, zerbrechliche Objekt so fest mit unseren Fingern, dass es uns vor lauter Fixierung darauf überhaupt nicht aufgefallen ist, wie wir dieses bereits zerquetscht haben. Dieses Trauma äußert sich daraufhin darin zu versuchen diese Einzelteile ganz hysterisch wieder zusammenbringen zu wollen. Doch sind diese nicht logisch wie Puzzleteile wieder aneinander zu bringen. Die Fragmente passen nicht mehr aneinander, manche werden so dünn wie Staub vom Winde verweht, manche haben sich wie Glassplitter in unsere Haut gebohrt. Sie sind nun entweder für immer verschwunden und wir begeben uns auf Ewigkeiten auf die Suche nach ihnen oder sie sind so sehr Teil von uns, dass wir sie gar nicht mehr als etwas Getrenntes von uns wahrnehmen. Die Wiederholung bringt also auch jedes Mal eine Spaltung mit sich. Diese Lücke ist die Erkenntnis, dass wir nicht dasselbe wiederfinden, denn erst diese lässt uns die Wiederholung als Wiederholung erfahrbar machen. Was unweigerlich mit der Wiederholung zusammensteht, oder ihr auch entgegengesetzt sein kann, ist also die Erinnerung.Die Erinnerung blickt immer in die Vergangenheit. Dabei ist sie meist verbunden mit einer Melancholie. Ein Wunsch danach, das wiederzuerlangen, woran man sich erinnert. Es ist zu betonen, dass eine Erinnerung nur selten die Realität abbildet, wodurch es beim Prozess der Erinnerung also zu einer Verschiebung des Gewesenen kommen kann. Auch zu beachten ist, dass eine Erinnerung sich zwar in dem Sinne verändert als, dass sie von der tatsächlichen Realität abweicht, sie sonst aber für uns als etwas Statisches, Absolutes abrufbar ist. Die Bilder welche sich uns zeigen verändern sich nicht, sie bleiben bis in alle Ewigkeit dieselbe von uns geformte Realität und bieten uns Schutz vor dem grausamen Realen. Hier ließe sich eine Verbindung zwischen dem Träumen und dem Erinnern herstellen. Beide spielen auf ihre ganz eigene Weise mit dem Wunsch. Wenn sich in unseren Träumen Wünsche ausdrücken, so ist es doch die Erinnerung erst welche den Traum verstümmelt und uns in Form von (versteckten) Symboliken unsere eigenen Wünsche füttert, ohne dass diese uns bewusst sind. Im Gegensatz zu Freud oder Lacan¹, für welche der Wunsch stets mit einem Mangel im Subjekt (also einer Negativität) verknüpft ist, behaften Deleuze und Guattari diesen in Anti-Ödipus mit etwas Positivem. Der Wunsch produziert hier nicht nur die wünschende Person selbst, sondern auch dessen Objekt.²

Erst die Wiederholung also macht es uns möglich nicht verloren in der Vergangenheit umherzuwandern, um die Trümmer der Erinnerung ins jetzt zu bringen, sondern der Mut zur Wiederholung ist es was mit jedem Male die Vergangenheit verändert. Sie zwingt sie dazu zu Werden.

1 Vgl. Sigmund Freud, die Traumdeutung, Jenseits des Lustprinzips und Jacques Lacan, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Seminar II, Die Objektbeziehung, Seminar IV, die Bildung des Unbewussten, Seminar V, das Begehren und seine Deutung, Seminar VI

2 Gilles Deleuze, Felix Guattari, Anti-Ödipus, S.37: “[...] daß der Wunsch nach Wenigem "Bedürfnis” verspürt, nicht nach den Dingen, die man ihnen läßt, sondern gerade nach jenen, die man ihnen fortgesetzt entwendet, und die statt des Mangels im Subjekt die Objektivität des Menschen begründen würden: das objektive Sein des Menschen also, dem Wünschen Produzieren, in Wirklichkeit Produzieren ist. Das Reale ist nicht unmöglich, in ihm ist und wird vielmehr alles möglich. Nicht der Wunsch bringt im Subjekt einen molaren Mangel zum Ausdruck, es ist die molare Organisation, die den Wunsch seines objektiven Wesens beraubt.”