Das Licht der Kerze zeichnete meinen verzerrten Schatten an der Wand. Doch wiedererkennen konnte ich mich in diesem keineswegs. Dieser hatte so wenig mit mir selbst zu tun, wie die knatschenden Holzdielen, auf welchen ich mich langsam zum Bett hinbewegte. Auch hätte mir doch klar sein sollen, dass dies keinesfalls das Jetzt sein konnte. Das Zimmer, in welchem ich mich befand, wirkte wie konserviert. Der Geruch von Petroleum oder zumindest, wie ich mir diesen Geruch vorstellen würde, lag schwer in der Luft des Raumes. Und doch wirkte all dies so vertraut. Ich musste es irgendwo gesehen haben. Das so vertraute Zimmer bietet nicht nur Komfort und Geborgenheit, Schutz vor dem traumatischen Realen, sondern ist womöglich gleichzeitig der Ort an welchem das Reale sein Kunststück aufführt und uns verführt. Die Zeit meine Handlungen zu überdenken, ergab sich mir nicht. Alles, was ich verspürte, war das zwanghafte Verlangen danach meine Tat zu vollstrecken. Die schönsten Gegenstände wie beispielsweise die Eitelkeit aufsprießender Blumen sind für uns Symbole der Vergänglichkeit von Schönheit. Ich erkenne diese Schönheit in den für Viele wohl grässlichsten und verwerflichsten Momenten des Daseins. Es sind keineswegs lediglich die Geschichten oder Überlieferungen sämtlicher Kulturen, sondern es ist all dies was so tief in uns schlummert, quasi ganz unabhängig voneinander seit jeher in uns vergraben ist und ich kollektives Unbewusstsein nenne. Ich spreche als Einzelner für die Gesamtheit, wenn ich behaupte, dass Repressionen nichts verstecken, sondern diese sich nur von einem Ort an eine andere Stelle hin verschieben. Denken Sie denn nicht auch, dass es gewöhnlicher ist sich als Mörder zu sehen, welcher jede Nacht träumt er wäre ein aufrichtiges Mitglied der Gesellschaft, als ein aufrichtiges Mitglied der Gesellschaft zu sein, welches jede Nacht davon träumt zu morden? Das gewöhnlichste Geschehnis, in welchem wir behaupten uns wiederzuerkennen, trägt zu jederzeit die verheerende Möglichkeit mit sich irreversible Schäden anzurichten.
Nun trete ich also mit sanften Schritten an das Bett heran. In diesen Momenten empfinde ich die höchste aller möglichen Befriedigungen. Hierbei spreche ich nicht von einer primitiven sexuellen oder materiellen Befriedigung. Möglicherweise kommt es dem nahe, wie man sich den vollkommenen, zweifellosen Glauben vorstellen müsste. Der Glaube ist dabei so stark, dass die glaubende Person niemals an Gottes Worten oder Taten zweifeln würde, was auch immer dieser befehle oder täte. Die Großzahl dieser selbsternannten Gläubigen sind für mich nichts weiter als Scharlatane, welche ihr sorgenfrei konstruiertes Leben vor sich hin leben ohne jemals wirklich in Verzweiflung geraten zu sein. Wenn ich mir ein solches Leben vorstelle, verspüre ich keinerlei Neid. Ich erhebe also meine rechte Hand, welche mitsamt ihrer dreckigen Fingernageln und den kleinen abstehenden Hautstücken das gespitzte Holz umschlingt. Langsam und mit aller Vorsicht führe ich es in die totblasse Haut der im Bett ruhenden Gestalt ein, bis das abstoßend weiße Duvet in rot getränkt ist. Was wenn die Geister schon vor langer Zeit aufgehört haben die endlosen Korridore der Schlösser heimzusuchen und sich ganz heimlich in unsere Köpfe geschlichen haben? Dann wären ja unsere Gedanken selbst die spukende Realität der Gespenster. Lennart Koch, 2024 für die Ausstellung pinpointing well meaning upper class prey in der Frankfurter Straße 269, Braunschweig