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and may three moons light up the sky
„[...] Leere stellt kein Manko her, sie schreibt keine auszufüllende Lücke vor. Sie ist nichts mehr und nichts weniger als die Entfaltung des Raums, in dem es schließlich möglich ist zu denken.“
-Michel Foucault1
In einem Ausstellungsprojekt, einer offenen Begegnung von Kunst- und Architekturstudierenden, wird Kunst und Ausstellungsarchitektur fern der üblichen Konzepte und Erfahrungen von Materie erlebbar. In diesem besonderen Kontext und den zur Verfügung stehenden 400qm entfaltet sich ein Ort der die Fülle der Leere erfahrbar werden lässt. Licht und Imagination, als in Schwingung versetzte Energien, geben in einem großem durch Folie abgetrennten Teil des Raumes zirkulierend Versprechen auch hinter dem Horizont ab. Die transparente Folienwand und der Raum, der ihr gegenüber ins Leben gerufen wird, erzeugen zwischen sich einen Flur und etablieren zwei Seiten. Von einer dreifach wiederkehrenden Lagerkonstruktion besetzt, werden in diesem zweiten Ort Kunstobjekte sichtbar. In einer Verkehrung des ersten Phänomens manifestiert sich hier die Leere in der Fülle. Durch das Spiel mit Licht und Raum werden virtuelle Dimensionen auch hinter dem Horizont zu einem dynamischen Feld von Möglichkeiten.
Drei Monde, oder sind es bereits sechs, erleuchten den Himmel. Die Sonne bewegt sich nicht. Ein orientierungsloses aufeinander zulaufen der Grenzen ohne Destination. Selbst im kleinsten Kristall des Einzelnen, erscheint einem die Vollkommenheit des Gesamten. Drei Mal schlagen wir die Augen auf. Die erwachenden Augen, noch immer geblendet vom Bewusstsein der Wachheit werden durch die Hände des Traumes aufgehalten sich erneut zu schließen, um sie in der Vergangenheit festzuhalten. Wir versetzen uns nicht in die Gegenwart, sondern diese ist alles was wir haben.
Die Zeichen dominieren unsere Wahrnehmung der schwindenden Realität. Wir haben die Ebene der Vortäuschung und Imitation verlassen, was gleichzeitig dazu führt, dass der Begriff Repräsentation nun von einer wahllosen Kombination von Modellen und Codes durchströmt wird. Es scheint so als sei kein „Außen“ mehr möglich, als wären alle unsere Entscheidungen und Erfahrungen prädestiniert. Als wären sie nicht die Unseren. Der Vorgang der Produktion oder auch der identischen Reproduktion ist nicht mehr gleichzusetzen mit der jetzigen Dominanz der Virtualität. Es ist fast als würde die uns bekannte Realität langsam verschwinden. Doch selbst im Verschwinden bleiben stets kleine Reste, blasse Spuren des Verschwundenen. Doch das Verschwinden ist hier nicht als etwas Negatives zu verstehen, denn vielmehr geht es darum über den Horizont des Verschwindens hinaus zu gehen. Erst durch die Aneignung dieses neu entstandenen Raumes der Leere und der gleichzeitigen Verweigerung der Realität ist es uns möglich diese für uns subversiv zu nutzen. Schließlich bleibt die reale Welt immer auch die der Vorstellung und statt unsere Aufmerksamkeit auf die Welt der Dinge zu richten, sollten wir vielmehr die Faszination in dem Verschwinden selbst suchen. Wenn wir alles Sichtbare eingehen lassen in das Reich des Unsichtbaren, vergleichbar mit dem oft beschworenen liminalen Zustand, lassen wir los, um einzutauchen in die ephemere Natur des Lebendigen.
Ein Lager ohne in ihm Gelagertes? Berühren ohne zu besetzen. Ein neuer Blick der den Bestehenden obsolet macht. Alles hin zur nötigen Veränderung, dessen Bewegung frischen Wind durch die wachsenden Hallen bläst.
Das Konzept der Fraktale bildet sich im Kontext der wiederholten Regalstruktur ab. Mit leicht angepassten Größen und Proportionen, ähnlichen Gestaltungselementen und Details bringt es die Idee der Selbstähnlichkeit mit. Der Ansatz der Iteration gibt Dank der Begegnung einfacher Elemente eine Aussicht auf Emergenz, im Sinne von neuen Eigenschaften und Ausdrucksformen. Werke, die sich selbst für bereits abgeschlossen deklariert haben, fragen nach ihrer eigenen Vollständigkeit. Kann der Prozess des Abschlusses jemals für final erklärt werden? Kunstwerke, ständig in Bewegung, im Wandeln; akzelerieren die Bedingungen des Raums nicht ihrer Partikel, sodass sie sich stets verändern können? Auch wenn dies keine formale Veränderung, sondern beispielsweise eine solche der Position im Raum, der Präsentation, Repräsentation sein kann. Diese Verschiebung des Raumes und der Ähnlichkeit zu sich selbst rückt auch die Arbeiten der Studierenden in denselben Kosmos. Was wenn die Arbeit überhaupt nicht die ist, von der wir denken, sondern sie lediglich unserer Vorstellung davon so sehr ähnelt, dass wir dies gar nicht mehr hinterfragen. Fast so als hätte sich die Arbeit ab irgendeinem Punkt, ohne dass wir es bemerken, ganz unbewusst von uns getrennt. Als hätte sie sich selbstständig gemacht und von dort an sind es nicht mehr wir gewesen, die die Kontrolle über das Werk haben, sondern dieses gibt uns vor wie es zu lesen ist.
Die im Gesamtkonzept erscheinenden künstlerischen Arbeiten der Kunststudierenden sind nicht in Bezug zum Raum, ihrem Kontext und zu einander gesetzt. Kamen sie wie jede gute künstlerische Umsetzung ungefragt, fanden die Werke, förmlich magnetisch angezogen, einen für sie prädestinierten Ort innerhalb der Lagerstruktur. Das Zeitfenster ihrer Entstehung, können wir nicht ausmachen. So sprechen sie von Transformation und Wachstum, wenn sie teils buchstäblich wie Pilze sprießen und unsere Kunst- und Kulturgeschichte aufflackern lassen. Einer Intra-Aktion2 entsprungen, lassen sie sich nicht einfangen, einer Theorie oder einer Effizienz zuordnen. Möglichkeiten des Wirkens und Seins sprechen aus diesem vitalen Zustand heraus. Mit dem gesetzten Konstrukt agierend, tauchen sie auf, behaupten sie eine vordere Reihe und sind gleichzeitig wieder verschwunden. Der andere Raum, mit Licht und hinter Folie erzeugt, liegt als Horizontale entspannt gegenüber den Vertikalen Strukturen des Lagers. Teils Töne erzeugend, stellt seine Abgrenzung bereits den Raum dar. Die sich gegenseitig aufnehmenden Dimensionen und Verkehrungen von Leere und Fülle spielen eine transformierende Rolle in ihrer Umgebung und unserer Wahrnehmung. Diese Veränderung ermöglicht uns über den Horizont der Fülle zu blicken und in dem Schimmern des Nichts das Potenzial der Unendlichkeit zu greifen.
Frances Scholz & Lennart Koch, 2024
1 Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge: Eine Archäologie der Humanwissenschaften.Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973: S. 214.
2 Karen Barads Konzept der Intra-Aktion besagt, dass Dinge und ihre Beziehungen gemeinsam entstehen, anstatt unabhängig voneinander zu existieren. Materie und Bedeutung sind untrennbar miteinander verbunden und formen sich durch ihre wechselseitigen Prozesse. Anders als bei der traditionellen Vorstellung von Interaktion entstehen die sich kontinuierlich entwickelnden und verändernden Einheiten erst durch diese Intra-Aktion. Die klassischeontologische Unterscheidung zwischen Subjekten und Objekten wird dadurch aufgehoben, da beide nur Bedeutung im Kontext ihrer intra-aktiven Beziehungen erlangen.