Ausstellungen: 2021

Clages
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Oberflächlich betrachtet, mag es wie ein schräger Science-Fiction-Witz aussehen: eine Beaming- Plattform (Docking Station, 2021) in einer Ecke zum Betreten, eine Glastafel (nicht ganz Kugel), die von zarten Metallranken gehalten wird, die weißes Licht in unterschiedliche Farbschattierungen verwandeln (The Traveler, 2021). Frances Scholz interessiert sich schon seit langem für die gefährlichen Irrwege der Science-Fiction und die Plausibilität des Unplausiblen. Aber hier geht es nicht um eine einfache Flucht vor der globalen Erwärmung, indem wir uns zum Beispiel auf den Mond beamen. Und doch geht es um das Beamen und um die Qualitäten des Lichts, und es geht um Lösungen, irgendwie. Diese Objekte fragen nach Transparenz, Transmission und Verdoppelung. Sie denken über die Kluft nach, die sich zwischen Wahrheit und Fiktion, Sinn und Nicht-Sinn, Realität und Repräsentation auftut, und richten sich in den Operationen dieser Grenzen ein. Sie sind bewegliche oder poröse Membranen, wenn Sie so wollen.

 

Wie beame ich Sie also hindurch? Es gibt so viele Möglichkeiten.

 

Hier ist eine. Frances Scholz Untersuchungen beginnen bei, oder basieren auf, einem sensorischen Index oder Bild einer Idee. Ich spreche von dem Glas in der Ecke. Sie können später darauf stehen, um zu sehen, ob das, was ich sage, Sinn macht. Speziell für diese Arbeiten wurde eine Technik entwickelt, bei der verschiedene Gläser vereint werden und durch einen Verformungsprozess mit Hitze eine dreidimensionale Oberfläche entsteht. Wenn man durch das Glas schaut, werden die Schattierungen, die auftauchen, je nach Ihrer Position und Ihrer Beziehung zu einer Lichtquelle aktiviert. Die Farbwirbel, die das Licht, das das dichroitische Filterglas durchlässt, brechen, sind Ausschnitte aus einem Bild, das auf indirektem Weg aus der Geschichte der westlichen Philosophie stammt. Seinen Ursprung hat es in der Fotografie einer Leiter, die Scholz in ihrem Atelier benutzte und deren momentane Reflexion sie beim Innehalten auf Plastikfolie festhielt. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein hatte, wie Sie vielleicht wissen, den Tractacus Logico-Philosophicus, sein Werk über das Verhältnis von Welt, Denken und Sprache, mit der Aufforderung beendet, die von ihm darin konstruierte Leiter der Logik wegzuwerfen. Eine Möglichkeit, diesen Imperativ zum Wegwerfen zu verstehen, ist, dass wir den ganzen Versuch aufgeben sollten, Überzeugungen über die Realität zu haben, unabhängig davon, ob diese wahr oder falsch oder einfach unsinnig sind.

 

Was macht man als Künstlerin, die sich mit dem Realen beschäftigt, ohne zu glauben?

 

Man macht einen Film über einen toten Ast in einem Innenhof und in einem leeren Raum. Es ist ein kleines Ding, bescheiden, fast nichts: ein Stück Holz, das während eines Sturms draußen und dann von innen aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen wurde, mit kleinen Schildern versehen, als wäre es ein Objekt aus einer archäologischen Ausgrabung: das Gesicht mit Silber überzogen. Aber selbst dieses banalste, nicht-metaphysische Objekt kommt mit abgelenktem Licht bei uns an. Was wir erblicken, sind wir selbst im Westen, zu sehen in diesem Raum, all die Urwälder, abgeholzt unter dem Andrang des kommenden Sturms. Aber es ist auch ein Abbild des Arms von Yusra Mardini, der inzwischen olympischen Schwimmerin, die das Schlauchboot, auf dem sie sich befand, in Sicherheit schwamm. Zwanzig Menschen auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland wurden an diesem Tag gerettet. Griechenland ist nicht der alleinige Ursprung der Philosophie.

 

Sie stehen auf einem Bild dieser Leiter. Es ist ein spielerisches Ding, das nicht versucht den philosophischen Diskurs, auf den es verweist, zu verstehen oder zu beherrschen. Es ist nicht mehr ein Konzept über Logik. Während sie uns für das öffnet, was Wittgenstein später erforschen sollte, die materiellen Wirkungen der Sprache und die Welten, die sie binden, hält sie uns auch weiterhin aufrecht.

 

Frances Scholz hat das Bild der Leiter in tausend Teile auf Leinwände und Glas in fast immateriellen Doppellinien und zitternden Schatten aufgelöst. Erstmals in der Serie Shadow Paintings (2014) gezeigt, war das Bild der Leiter nie ein Original. Seit seiner ersten verdoppelten Entstehung als Fotografie setzte sich seine Vervielfältigung in einer wuchernden Zirkulation fort, als es wieder auf die Plastikfolie gedruckt wurde, wobei seine Konturen nun nicht mehr von den Falten auf der Folie selbst und der Bewegung des darauf gebrochenen Lichts zu unterscheiden sind.

 

Mit einem Projektor überträgt Scholz ihre Bilder auf die undurchsichtigen Membranen der Leinwand und umreißt die zu bemalenden Flächen mit Klebeband. Der Lichtstrahl bleibt manchmal an Gegenständen hängen, die sich zwischen Projektor und Leinwand befinden (Schnüre, eine Tischecke, eine mit Klebebandresten bedeckte Säule). Dinge stören. Materialien werden wiederverwendet. Was in einem Fall positiver Raum ist, wird in einem anderen Fall zu negativem Raum.

 

Aber auch andere Bilder als Leitern haben sich auf der Leinwand oder an der Wand festgesetzt. Eines stammt von Leibniz und betrifft die Membranen der Monaden, über die Gilles Deleuze ein Buch mit dem Titel Die Falte geschrieben hat. Die Subjektivität faltet das Außen nach innen. Die Seele ist eine Monade, ohne Türen und Fenster, die ihre klaren Wahrnehmungen aus einer dunklen Tiefe schöpft. Obwohl sie die Welt in ihrer Gesamtheit widerspiegelt, ist sie voll von undurchsichtigen Falten. Ein anderes Bild ist die Mähne eines widerspenstigen Pferdes, zitternd mit der unbezwingbaren Schönheit eines Fohlens, das von Cowboys im Pferch vor dem Rodeo festgehalten wird und sich weigert, Grenzen zu akzeptieren. Western-Exzeptionalismus. Wieder Wittgenstein: „In aller großen Kunst steckt ein WILDES Tier: gezähmt“. Nur will Scholz es nicht gezähmt haben.

 

Das Ziel ist nicht, einer Idee, einem philosophischen System oder einer Reihe von Untersuchungen treu zu sein, oder sie gar in dem Sinne zu kennen, wie es ein Philosoph oder Historiker könnte. Das Ziel ist vielmehr eine Praxis, in der ein Bild der Idee über partielle Anleihen und Verweise etwas auslöst, das durch materielle Iterationen und mäandernde Wiederholungen gefaltet wird. Frances Scholz Arbeit wird durch eine Idee in eine bestimmte Richtung gelenkt, die nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Bereich gehört und auch nicht durch ihn begrenzt wird. Die Idee wird in eine andere Form projiziert, vielleicht sogar etwas zufällig, basierend auf eher sensorischen als symbolischen Daten (und Urteilen). Ihre Schichtung und Vermehrung sind tückisch. Strahlend. Scholz strahlt. Scholz grinst.

 

Bedeutung entsteht in der wuchernden Zirkulation des Bildes. Es geht um Produktivität, aber es lässt auch Leerraum auf der Leinwand. Es könnte interessant sein, den unterirdischen Verlauf der Ideen und ihrer Anhängsel, der Systeme in die sie eingeschrieben sind nachzuzeichnen, als Art der Negativräume, die allein durch die zu ihnen und zur Geschichte gehörenden Ideen auch dem Material innewohnen.

 

Das fließt durch dieses Glas, wie durch Adern, wie das ungreifbare, unsichtbare Bild des Bewusstseins in der Materie.

 

Wie beamen wir uns also nach oben? Wir kennen die Geschichte des westlichen Exzeptionalismus. Die westliche Kunst ist unsensibel, auf eine andere, wenn auch ähnliche Weise, insofern sie zum privilegierten Ort der ästhetischen Sensibilität geworden ist und das, was nicht leicht wahrnehmbar ist, größtenteils ignoriert hat. Was die westliche Philosophie betrifft, so ist sie unwissend in dem Sinne, dass sie sich von ihrer materiellen Transformation abgeschnitten hat und im Hiatus zwischen Denken und Materie stecken geblieben ist. Ich möchte anmerken, dass Wittgenstein dem mit seiner Vorstellung von Philosophie als Therapie und seinen Untersuchungen zu sprachlichen Lebensformen zu entkommen suchte und es ihm gelang, auf dem Sterbebett auszusprechen: „Sage ihnen, dass ich ein wunderbares Leben gehabt habe“. Wir denken nur, dass wir uns nicht hochbeamen lassen. Wir selbst haben unsere Fähigkeit zum Beamen vergessen oder schränken sie ein. Beamen zu können. Beamen.

 

Eine Unterströmung hier, unbewusst vielleicht, aber sichtbar, ist das Weibliche. Die Skulptur, die uns nach oben beamt, sieht aus wie ein Uterus, und Frances hat Gemälde von Formen gemalt, die hinter Säulen versteckt sind und Poussins Säulenfrau von 1647/48 ähneln. T. J. Clark scheibt, die Frau scheine aus geschliffenem Glas zu bestehen. Als Frauen müssen wir für das Recht auf Ausdruck kämpfen, für Frauen, den Kampf um Ausdruck, und dafür, dass es uns nicht wie ein Egotrip vorkommt, sondern insgesamt das Bedürfnis, uns Ausdruck zu erlauben… Sehen Sie, ich stolpere über mich selbst, wenn ich es sage. Die Gebärmutter ist kein Organ des Körpers. Sie ist eigentlich ein Geschenk des Kosmos, ein Portal im Körper, das etwas durchlässt. Es ist eine Scheibe, die vom Mond herunterstrahlt.

 

Im Rahmen von Berlin Childhood, einer fortlaufenden Zusammenarbeit zwischen Aura Rosenberg und Frances Scholz, die auf den Texten von Walter Benjamins Chronik „Berliner Kindheit um 1900“ basiert, entsteht der Film Der Mond (2020). Nachts, wenn das Mondlicht sein Zimmer einnimmt, erlebt Benjamin eine Verschiebung, als sei er gewaltsam ausgesiedelt worden, hinausgeschoben oder in der Zeit nach vorne versetzt worden, so dass er daran zweifelt, dass er seinen jetzigen Platz auf seinem Bett tatsächlich wieder einnehmen kann. Zeichen sind unzuverlässig, sagt Benjamin. Benjamins Urenkelin Lais, die im Video seine Worte liest, ist eine weitere dieser konzeptuellen Abweichungen, und ich entschuldige mich für den Begriff, denn die junge Frau ist geistreich, reiner Witz und kristalline Klarheit und Tiefe. Aber sie ist auch der schöne Effekt eines Strahlens, das durch eine absolut undurchsichtige und unerkennbare Übertragung zu uns gekommen ist, Spermium und Geschichte und Politik und Kunst.

 

Wir nehmen Oberflächeneruptionen des Netzes wahr, hier und da, wenn wir das Glück haben, darauf zu stoßen. Zu anderen Zeiten ist es eher so, dass man die Oberfläche des Eisbergs der unermesslichen Weite abschöpft und einen möglichen Kurs darauf verfolgt, indem man ein paar Linien und Sinnesimpulse erahnt, die aus einem Prozess geboren werden, der eher einer Selbstverbrennung im Spender des unmanifesten Bewusstseins ähnelt als dem, was wir im Kleinen Denken oder Wahrnehmen nennen.

 

Wie beamt man sich also hoch?

 

Frances folgt einigen dieser Linien, und hier bieten ihre Arbeiten verschiedene Schnitte dieses Ganzen an, von der Oberfläche bis ins Innere, wobei sie kleine Ausschnitte der Art und Weise freilegt, wie sich Geschichte und Politik in die Materie einschreiben. Zeichen sind nicht vertrauenswürdig, Glas ist durchsichtig, aber wir wissen noch nicht, was das bedeutet.

 

Dies ist eine Ästhetik des Jubels. Ihr Prozess des Projizierens und Strahlens ist durch jahrzehntelanges Experimentieren und einen ausgedehnten Dialog mit der Geschichte der Malerei zustande gekommen. Sie spricht für sich selbst. Was kann ich sagen, was es nicht selbst sagt, und die Lebendigkeit seiner Farben und die Präzision seiner Formen zu stören oder zu beschönigen? Scholz Meisterschaft ist es, diese innere Transparenz von Farbe und Geste einzufangen. Die falsch wahrgenommene Transparenz sieht sehr nach dünner Luft aus, aber ist es nicht vielleicht ein größeres Kondensat, das sich so sehr in die Unsichtbarkeit faltet? Wie wird der Dialog mit der Geschichte der Malerei sichtbar gemacht? Liegt es am Farbauftrag, an den Entscheidungen über die Formgebung? Könnte eine gewisse Leichtigkeit auf ein Ideal der Freiheit als Reflexion über die Form selbst hinweisen: Form in Inform, Form und Nicht-Form, oder die Möglichkeit, dass sich die Form auf das Nichtsein schließen kann? Ich bemerke eine Art und Weise, wenn nicht sogar einen Sinn, darin von einer Oberfläche zur nächsten zu hüpfen. Das Ding wuchert…

 

Ein philosophischer Standpunkt wird insofern als „metaphysisch“ angesehen, als dass er dazu führt, dass man a priori festlegt, was sein kann und was nicht. Das Licht, welches vom Mond herunterfließt, gilt nicht dem Schauplatz unseres Tagesdaseins […] Warum denn etwas auf der Welt, warum die Welt sei […] Ihr Nichtsein wäre mir um keinen Deut fragwürdiger vorgekommen als ihr Sein, welches dem Nichtsein zuzublinzeln schien.

 

Beamen beschreibt auch einen Zustand der Glückseligkeit.

Noura Wedell