Texts: 2019

Hannoversche Allgemeine Zeitung

by Thomas Kästle
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„sprengel@feinkunst“ mit Constanze Böhm 

Das ist mal einTitel: „Ich konnte nicht abwarten und habe den Finger hineingetaucht“ heißt die Ausstellung von Constanze Böhm. Mit ihr startet eine Kooperation zwischen Feinkunst und Sprengel Museum.

Constanze Böhms Abstraktionen haben eher Namen als Titel - die hannoversche Künstlerin bezeichnet ihre Arbeiten gerne als „Protagonisten“, „Gegenüber“ oder „Personae“. Sie heißen „das emblematische Ensemble“ oder „the proper polygons“, als wären sie Zirkusartisten in einer Manege. Oder eben „Mitarbeiter des Monats“, wie Böhm eine Serie von Malereien nennt, die sie einander in den Räumen des Kunstvereins Feinkunst begegnen lässt. Bereits der Titel der Ausstellung deutet eine Geschichte an und lässt zugleich deren Kontext offen: „Ich konnte nicht abwarten und habe den Finger hineingetaucht.“

Die Auswahl erzählt viel über Böhms Arbeitsweise: Ebenso wie ihre Zeichnungen und Malereien entstehen auch kleine Texte spontan, aber in festgelegtem Setting – in diesem Fall auf bereitliegenden Papierbögen mit Hilfe einer Schreibmaschine namens Monika. So werden aus „Fundstücken“, wie Böhm Worte, Farb-, Form- und Linienexperimente nennt, Serien. „Der Ausstellungstitel lag zufällig ganz oben auf einem Stapel“, sagt Böhm. Von etwa 300 Blättern aus „Das emblematische Ensemble“ zeigt sie 120 Stück, oft schwungvolle Skizzen, deren Details in Pinselstrichen liegen, in Umrissen oder scheinbar homogenen Flächen. Ihnen Persönlichkeitsprofile zuzuschreiben, fällt nicht schwer.

Dass Begriffe wie „Ensemble“ oder „Protagonisten“ den darstellenden Künsten entlehnt sind, ist kein Zufall. Bevor Böhm in Braunschweig freie Kunst studierte, absolvierte sie den Studiengang Kostümdesign in Hannover. „Bei mir darf alles und jeder zur Figur im Raum werden“, sagt sie. Sie nehme Architektur ähnlich intuitiv wahr wie Malerei: „Diese gedankliche Nähe versuche ich, körperlich erfahrbar zu machen.“ So werde im Idealfall Raum zu Malerei und umgekehrt. Dafür hat Böhm in der Ausstellung mit Hilfe ergänzender Wände Betrachtungssituationen konstruiert. Sie spielt mit Farben und Materialien, neutralisiert und lädt auf. Offene Kabinette entstehen, die den Vergleich mit großen Vorbildern der Kunstgeschichte nicht zu scheuen brauchen.

Die Ausstellung ist die erste einer neuen Reihe. Bei „sprengel@feinkunst“ kooperiert der junge Verein, der sich nach dem Tod des hannoverschen Künstlers Hannes Malte Mahler vor allem gründete, um dessen nachgelassenes Werk zu katalogisieren und zu präsentieren, einmal jährlich mit dem Sprengel Museum, um junge Kunst aus Hannover und Niedersachsen zu zeigen. Kuratiert wird die Reihe von Volontären, den Anfang macht Katrin Kolk. Es mag Zufall sein, doch durch Böhm rückt das Konzept nahe an die Szene der Atelier- und Projekträume, deren Sprecherin sie ist. So entsteht vielleicht nicht nur ein Begegnungsraum für Böhms „Protagonisten“, sondern auch für Akteure mit heterogenen Perspektiven auf Kunst und deren Präsentation.

Die Ausstellung wird am Freitag um 19 Uhr in der Roscherstraße 5 eröffnet. Sie ist bis zum 5. April zu sehen.



>>https://www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Die-neue-Ausstellungsreihe-sprengel-feinkunst-startet-mit-Arbeiten-von-Constanze-Boehm

Hybride Wesen: Zu den Malereien von Constanze Böhm

by Katrin Kolk (Sprengelmuseum)
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Fragile Gestalten begegnen den Betrachter*innen von Constanze Böhms malerischen Arbeiten auf Papier und Leinwand: Porträthaft anmutende Figurationen wechseln sich ab mit merkwürdig geformten Gebilden, die mit pastosem Farbauftrag gearbeitet sind. Die Künstlerin schöpft die Bandbreite malerischer Formfindung vom Amorphen hin zum Kristallinen aus und erschafft sich ihr eigenes Vokabular an Formen und Gesten. Die Malerei als Medium steht hier auf dem Prüfstand: Im Zusammenspiel mit Farbmaterie, Pinsel und Bildträger erprobt die Künstlerin das Suchen und Finden der Form, die ihrerseits oszilliert zwischen Abstraktion und Figuration, zwischen Gestik und Geometrie, zwischen Fläche und Räumlichkeit. In spontan-assoziativer Arbeitsweise nähert sie sich den Spezifika der Malerei an, dem Verhältnis von Form und Grund, von Linie und Fläche. Böhms Arbeiten sind zutiefst malerisch und sprengen zugleich, durchaus buchstäblich, den Rahmen des Mediums, indem sie die auf dem flachen Bildträger agierenden Formen und Figuren in plastische oder räumliche Arrangements transformieren.


Als Reservoir an malerischen Formen und Gesten kann die fortlaufende Serie des „Emblematischen Ensembles“ (2018) gelten. Die kleinformatigen Papierarbeiten werden in der Ausstellung vor dem Hintergrund einer in hellem Pastellgrün gestrichenen Wand gezeigt. Aufgereiht in fünf übereinanderliegenden Leisten ergibt sich aus den über hundert einzelnen Blättern eine mosaikartige Anmutung. Die Serie oszilliert so zwischen dem Fokus auf dem einzelnen Blatt, das als Werk und in sich geschlossene Komposition für sich stehen kann, und dem in der Installation sichtbar werdenden Charakter als zusammenhängendem Ensemble. Zwischen den einzelnen Blättern entstehen Übergänge und Querverbindungen: Zwiegespräche zwischen sich ähnelnden Formgebilden entspinnen sich, Nachbarschaften von zusammenhängenden, miteinander verwandten Formen und Figuren entstehen. Die Malerei setzt sich so über die Ränder des Bildträgers hinaus fort, sie greift von einem Blatt aufs andere über. In der Ausstellungssituation entfaltet sich zudem eine materielle, haptische Dimension, die in der spezifischen Installationsweise begründet liegt: Die Blätter sind nur am unteren Bildrand durch Nuten auf den Leisten fixiert, heben sich also deutlich von der Wand ab und muten objekthaft an. Die Materialität des Bildträgers, das fragile und doch zugleich durch die Farbgrundierung dick und stabil erscheinende Papier, tritt so in den Vordergrund. Die Arbeiten wirken optisch wie taktil gleichermaßen. Das Ausstellungsdisplay inszeniert nicht nur die Materialität der Malereien, sondern auch deren Entstehungsprozess: Im Atelier breitet die Künstlerin die noch unbearbeiteten Blätter schachbrettartig aus, grundiert sie und bearbeitet sie dann in einer Art spontanem Gestus, parallel zur Arbeit an anderen, größeren Formaten. Schon während dieser Art des Arbeitsprozesses wird das Ensemble somit in seinem Doppelcharakter als Einzelblatt und zusammengehörigem, aufeinander Bezug nehmendem Orchester gedacht. Die Präsentation greift diese ursprüngliche Anordnung aus dem Atelier wieder auf und führt so die Arbeitsweise der Künstlerin vor Augen. Einzelne Formen und Pinselgesten kristallisieren sich in der ‚Sortierung‘ der Blätter an der Wand buchstäblich vor unseren Augen heraus.


Auch bei den „Mitarbeitern des Monats“ (2018) arbeitet Constanze Böhm seriell und auf kleinformatigem Papier. Die „Mitarbeiter“ eint eine einheitliche Formsprache und Kompositionsidee, was sie vom quirligen „Ensemble“ unterscheidet. Rundlich-amorphe Formen treffen hier in Zweier- oder Dreierkonstellationen aufeinander, berühren sich, überschneiden sich oder schlittern manchmal haarscharf aneinander vorbei. Nicht zuletzt aufgrund des subtil-ironischen Titels ist diesen unförmigen Gebilden ein anthropomorpher Charakter eigen. Die „Mitarbeiter“ loten das Verhältnis von Linie und Form aus. Aus der durchgezogenen Linie entstehen Umrisse, die körperhafte Formen andeuten. In der Berührung oder Überschneidung dieser meist unterschiedlich-farbigen Umrisse entsteht eine Anmutung von Transparenz und Körperhaftigkeit gleichermaßen. Die Kompositionen leben von der Spannung zwischen den Binnenformen: Die kleinen Gestalten ringen um unsere Aufmerksamkeit, drängen sich in den Vordergrund, werden gar bildfüllend, oder aber: sie schmiegen sich friedfertig aneinander an, in einer fast zärtlichen Geste. Spielerisch etabliert die Künstlerin diese Beziehungskonstrukte, die fragil erscheinen, und flexibel, vielleicht sogar flüchtig. Die derart mit figurativen Assoziationen aufgeladenen Gebilde stellen aber zugleich die Frage nach der künstlerischen Form selbst. Diese scheint, gerade erst entstanden, sich bereits wieder auflösen zu wollen. Sie konstituiert sich durch die brüchige Linie, die zarte Umrisse schafft und im nächsten Augenblick untergraben oder übertüncht wird durch andere Linien, die ihrerseits formhaft werden wollen. Form, so scheint es beim Anblick der „Mitarbeiter des Monats“, ist ein flüchtiger Zustand, der sich im Miteinander, im Kontrast mit anderen Formgebilden, manifestiert und doch gerade dadurch auch wieder der Fragmentierung anheimfällt.


Während die großen Leinwände der Reihe „Emblemata“ (2018) hier thematisch und formal anknüpfen, treibt das ebenso großformatige „pale patience painting (waiting for more to see)“ (2018) die Hinterfragung der Form auf die Spitze, indem sie letztere zur Auflösung bringt. Blass, wie durch einen Nebel, scheinen pastellfarbene Wolken mit verschwommenen Konturen auf der Leinwand auf. Je nach Blickwinkel und Perspektive der Betrachter*innen sind die Farbflächen als solche kaum oder nur als vage Schattierungen zu erkennen. Vorder- und Hintergrund, Bildgrund und Form lösen sich hier ineinander auf. In der neblig-unscharfen Konsistenz der Farbigkeit sind die Betrachtenden auf ihre eigene Wahrnehmung, das sich langsam an die Gegebenheiten anpassende Auge angewiesen, wie auch der Bildtitel suggeriert: waiting for more to see. „Pale patience painting“ hält die Betrachter*innen auf Distanz, erlegt ihnen Geduld auf und verlagert die Formfindung gänzlich in den Wahrnehmungsprozess. Figurative Elemente, wie sie in den „Mitarbeitern des Monats“ spürbar waren, haben sich hier verflüchtigt; sie scheinen in die opake weiße Flächigkeit des Bildträgers eingesunken zu sein.


Es ist der Neugier der Künstlerin an ästhetischen Gegensätzen und der Lust am spielerischen Umgang mit formalen Kontrasten geschuldet, dass sie der weichen Formlosigkeit von „pale patience“ in der räumlichen Situation der Ausstellung ausgerechnet die äußerst scharfen kristallinen Formen der „proper polygons“ (2017) gegenüberstellt. Als Gegenentwurf nicht nur zu „pale patience painting“, sondern auch zur amorphen Qualität der „Mitarbeiter des Monats“ und des „Emblematischen Ensembles“ fokussiert die Reihe dieser Papierarbeiten die geometrische Form. Doch die Strenge definierter, gar quadratischer Strukturen verwandelt sich hier in unregelmäßige, vieleckige Formen, die am Bildrand anecken und außer Rand und Band geraten zu sein scheinen. Klare, scharfe Umrisslinien kontrastieren hier mit der Vielfalt vieleckiger Formen, die sich zudem unterschiedlich zum Bildgrund verhalten. Einige der Gebilde nehmen einen Großteil der Bildfläche ein, dehnen sich bis zu den Rändern hin aus, andere bleiben klein und schmal, lassen dem flächigen Hintergrund viel Raum. Die Polygone scheinen sich innerhalb der rechteckig-hochformatigen Bildfläche verorten zu wollen, sie tasten nach Rändern und Kanten hin – als wollten sie aus dem Rahmen ausbrechen. Die Auseinandersetzung mit dem Raum bleibt hier noch auf den Raum im Bild fokussiert, in dem sich die Polygone wie kleine Körper hin und her zu bewegen scheinen – was im Übrigen auch in dieser Werkreihe vor allem in der Zusammenschau der einzelnen Blätter deutlich wird.


Die asymmetrischen Polygone und ihre auf der Bildfläche frei treibende Körperhaftigkeit führt die Künstlerin in verschiedenen Installationen („the qviet Room“, 2017, „pale patience room“, 2018, „honeymoon room“, 2018) in den Ausstellungsraum hinein fort. Die polygonalen Formen werden hier zu Grundrissen kleiner, in sich abgeschlossener Räume aus Sperrholz, die betreten werden können und aufgrund ihrer schrägen, nicht orthogonalen Wände zu surrealen Raumerlebnissen führen. Die formale Grundidee des Polygons wird nun für die Betrachter*innen körperlich erfahrbar. Aus der optischen Unmöglichkeit, die Formen im Auge zu fixieren, wird eine körperliche Wahrnehmung, eine latente Desorientiertheit, ausgelöst von der beengenden und buchstäblich schrägen Räumlichkeit.

In den Ausstellungsräumen von „feinkunst“ findet sich eine Variation dieser installativen Arbeiten, die zwischen künstlerisch-eigenwertigem Werk und Ausstellungsdisplay oszilliert. Einen kabinettartigen, nach vorne hin offenen Raum hat die Künstlerin an einer Längs- sowie der Rückseite mit anthrazitgrauen Rigips-Wänden ausgekleidet. Der Fußboden ist mit einem unregelmäßig-eckigen Teppich in derselben Farbigkeit ausgelegt. Es entsteht so wiederum ein polygonaler Grundriss und Raumeindruck, der aber, im Kontrast zu früheren Raumarbeiten, die darin Eintretenden nicht vom restlichen Ausstellungsraum abschottet, sondern stattdessen einen fließenden Übergang herstellt und den Eingriff in die Architektur als Inszenierung thematisiert. Zudem wird das derart transformierte Kabinett zur Bühne für vier kleine, weiße Keramik-Plastiken, die auf Holzpodesten an den Wänden gelehnt stehen: Die „Protagonisten“ (2017) sind fragile Figuren, die in ihrer rundlich-amorphen Form an die „Mitarbeiter des Monats“ erinnern. Ebenso wie diese gehen auch die „Protagonisten“ Beziehungen miteinander ein: Drei kleine Exemplare teilen sich ein Podest, sind einander zugewandt; ein vierter, deutlich größerer „Protagonist“ steht in einiger Entfernung an der Rückwand des Kabinetts, als Solitär. Das polygonale Setting wird so zur Bühne, zum real gewordenen Bildraum, in dem sich die plastischen Figuren bewegen und begegnen.


Die Übergänge zwischen Malerei, Plastik und Rauminstallation im Werk von Constanze Böhm sind fließend. Die Malerei ist Dreh- und Angelpunkt ihres Schaffens: Sie weitet sich in den Überlegungen zur räumlichen Wahrnehmung malerischer Formen mitunter in den Raum hinein aus, und wird ihrerseits auch von räumlichen und plastisch-körperhaften Arbeiten inspiriert. So sind die verspielten „Mitarbeiter des Monats“ von der Fragilität und Zartheit der ein Jahr zuvor entstandenen „Protagonisten“ sicherlich inspiriert worden. Das Bindeglied zwischen malerischen, plastischen und installativen Arbeiten bildet dabei Böhms Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Form und Nicht-Form, welches sie, mit Blick auf die Wahrnehmung der Betrachter*innen, übersetzt in die Frage nach der Beziehung von Körper und Raum.