Die Geduld, lange auf einen Augenblich zu warten, der schnell vorbei geht

von Sabine Müller
Die Geduld, lange auf einen Augenblick
zu warten, der schnell vorbei geht.

Zur Arbeit von Maximilian Neumann | Sabine Müller, M.A.

Wechsel von Beobachtung und Äußerung. Ein Geysir.
Der umliegende Raum, Natur, Landschaft und Begegnung formulieren sich in konzentrierter Bewegung. Klang füllt Körper und Raum mit Rhythmen. Atmung macht Geste, innerhalb einer mutigen Improvisation.

Maximilian Neumann malt, zeichnet und stellt Objekte des menschlichen Umfeldes her. Seine Bilder strahlen Gelassenheit, klare Struktur und Einfachheit aus und berichten zugleich von ihrer Geschwindigkeit und Entstehung. Die Farbe als Material wird
dünnflüssig über die Leinwand geführt. An einem langen Stiel befestigt, nimmt der Pinsel eine Form der Distanz ein, die eine ganzheitliche Bewegung des Körpers voraussetzt. In der Werkreihe VOM NEUEN (2016) setzt Maximilian Neumann partielle
Striche, die eine unterschiedliche Intensität des Duktus sichtbar machen. In den drei großformatigen Bildern der Serie führt ihn diese Herangehensweise von einer offenen Struktur zu einer Verdichtung der gesetzten Pinselspuren, welche schließlich die
ganze Leinwandfläche einnimmt. Dabei reichen die Variationen der Pinselstriche von satter Farbe, die in ihrer Konzentration beginnt, die Leinwand hinunterzulaufen bis zu trockener Malweise, welche einzelne Pinselhaare zeigt. In dieser Reihe ist eine
immanente Zeitlichkeit lesbar.
Dem gegenüber steht die Werkgruppe GEYSIR (2017), welcher zehn Bilder angehören. Auf der liegenden Leinwand schiebt Maximilian Neumann die dünnflüssige Farbe in dynamischer Bewegung. Hier geht alles ganz schnell. Intuitiv reagieren die
Bewegungen aufeinander. Und genauso intuitiv ist auch klar, wann das Bild fertig ist. Diese Malereien zeigen eine Improvisation im Privaten des Ateliers. Improvisation setzt Übung, Körpergedächtnis und ein Wissen um die Möglichkeiten voraus. Die Übung
schafft immer wieder aufs Neue Vertrauen in den Anfang - den ersten Strich. Im Sinne des Informel sind die Bilder dabei geprägt von einem kalligraphischen Ausdruck, welcher sich weniger in einem individuellen Gefühl als vielmehr in einer kontinuierlichen Stimmung begründet. Die Geste und der bewusste Vorgang wird zur Spur - sichtbar als Malerei. Farbe und Bewegung suchen nach ihrer gemeinsamen Form. Die Bilder erzählen von einem Warten auf den richtigen Augenblick. Der Wechsel von Ruhe und Bewegung erzeugt eine Synergie. Dieses Zusammenspiel ist Ausdruck einer Lebenshaltung, eines Umgangs mit äußerer und innerer Stimmung.

Zeichnung und Malerei entstehen in meist zeit- und ortsgebundenen Werkreihen. Diesen Bezug machen die Titel seiner Arbeiten deutlich. Bei den Malereien noch bildlich, sind die Titel der Zeichnung mitunter auch buchstäblich zu verstehen. So bei den Reihen LE VIEUX MOULIN (2015-2017), die sich auf die mehrfachen Aufenthalte in einer alten Seidenmühle im Südosten Frankreichs (Landschaft der Archèche und des Massif Central) beziehen. Der Romantik und Sehnsucht, die der Landschaft innewohnen, begegnet Maximilian Neumann mit Müßiggang und Wanderungen. Bereits früh geprägt durch die Pfadfinderbewegung, ist ihm die Natur eigentliches Habitat. Dabei geht es auch stets darum, sich in Gesellschaft zu bewegen, sich einzubringen - in der Landschaft sein, gemeinsam essen, einen gemeinsamen Rhythmus haben.
Seine Zeichnungen sind authentischer Fundus seiner Beobachtungen. Inspiriert und beeindruckt von Landschaft und Pflanzen entstehen freie Farb- und Strichkompositionen, welche von landschaftlicher Qualität, Wiederholung im Detail und Rhythmus geprägt sind. Die Zeichnungen bewegen sich so in einem Raum zwischen Stilleben und ephemerer Vegetation. Auf der einen Seite hält er den Eindruck, die Stimmung eines stets flüchtigen Momentes fest, auf der anderen Seite erweckt er für den Moment der Bewegung etwas zuvor Ruhendes zum Leben.
Die Arbeitsweise von Maximilian Neumann teilt sich in Phasen des Wartens und in die kurzen, schnellen, aber intensiven Momente der Zeichnung und Malerei. Die Leichtigkeit in der Phase der Bewegung ermöglicht er sich durch die Aneignung einer
Arbeitsstruktur und ihrer Vorbereitung. So wird besonnen und bedacht Arbeitsfläche geschaffen und bis ins Optimale konstruiert, Material vorbereitet, Papier in zuvor entschiedenen Maßen gerissen, Material für eine Reise oder Wanderung möglichst effizient und handlich verpackt. Diese Vorbereitung schafft eine Freiheit des Handelns und ermöglicht auch in der Phase des Wartens und der Ungeduld ein Grundmaß an Gelassenheit.
Zeichnungen, welche im Atelier entstanden sind, stehen meist im Kontext des Patterns. Im Moment eines Mangels an Landschaft wird Musik zum Protagonisten. Im engen Zusammenhang zur Minimal Music stehend, erzeugen die rhythmischen Zeichnungen mit ihrer repetitiven Struktur ein Kontinuum, welches in Verschiebung, Wiederholung, Überlagerung und Addition einen Zusammenklang erzeugt. Das Pattern, der Rhythmus und das Musikalische sind das verbindende Moment. Die Atmung gibt den Takt an. Während der Wanderung, in der Zeichnung, in der Malerei.

Maximilian Neumann verwendet im Nachhinein viel Aufmerksamkeit auf den Umgang mit den Arbeiten, so wie er sie für das Warten auf eben diese aufbrachte. Nachdem die Zeichnungen archiviert (mit Datum, Stempel und Ortsbezeichnung oder dem
Titel der Reihe versehen) in Kisten sortiert wurden, finden sie Stück für Stück wieder ihren Weg in die Umgebung zurück. Im verhältnismäßig großen Rahmen erhalten sie ein Passepartout, welches aus auf Mdf-Platten kaschiertem Buchleinen besteht und
die Zeichnungen auf diese Weise in Farbfelder fasst. Sein Interesse, die Arbeiten in den Bezug zu sich selbst und dem Betrachter zu setzen, verlangt nach einer Haltung zum Verhältnis von Leben und Kunst und scheut dabei das Dekorative nicht. Als Eingriff in den erfahrbaren Raum setzt er die Arbeiten in einen Kontext des sozialen Raums, in welchem er sich als Künstler eingebettet versteht.

So begreift Maximilian Neumann zum Beispiel Stühle als Möglichkeit, in die Beobachtung einzugreifen, die im Moment der Bewegung lautleise einfließt, um dann gleichzeitig Malerei und Zeichnung in den handwerklich geschaffenen Objekten zu reflektieren. DIE GEDULD, LANGE AUF EINEN AUGENBLICK ZU WARTEN, DER SCHNELL VORBEI GEHT (2018) ist eine Installation, bestehend aus einer Zeichnung aus der Reihe LE VIEUX MOULIN (2017/18), acht Stühlen und einer farbigen Wand.
Die Zeichnung stiftet dabei die Farbpalette. Sie ist in ein dunkelgrünes Passepartout gefasst, gerahmt und hängt an einer ebenfalls dunkelgrünen Wand, welche die Farbfläche des Passepartouts erweitert. Vor dieser Wand stehen die Stühle (zwei
dunkelgrüne, zwei hellgrüne, zwei violette, ein brauner und ein roter), ebenfalls mit Buchleinen bezogen, in ihrer Einfachheit da und laden ein, Platz zu nehmen. Unaufgeregt und belebt, bieten die Stühle einen Weg von der Landschaft über die Zeichnung zur Gemeinschaft und wieder zurück. Das Material, die nicht unempfindliche Oberfläche der Stühle, wird mit der Zeit und dem
Gebrauch Spuren sichtbar machen. Zarte Zeichen, wie speckige Stellen durch wiederholte Berührung, zeichnen die Objekte.

Die Lust, das gemeinschaftliche Leben und dessen Umfeld mitzugestalten findet so in seinen Malereien, Zeichnungen und Objekten einen liebevollen Platz. Eine große Zuneigung äußert sich in dem Bedürfnis, ihnen mit sorgfältiger, durchdachter Handarbeit einen Ort zu schaffen. So wurden auch die Malereien (GEYSIR), die während ihres Entstehens auf einem Podest liegend nicht aufgespannt sind, um einen Widerstand für den Strich und die Geste zu erhalten, nicht nachträglich aufgespannt, sondern durften bleiben, wie sie sind. Sie erhielten, ihrer Leichtigkeit angemessen, ein hölzernes Gestell. Ein Gestell, welches als Stativ fungierend aus mehreren Winkeln besteht. An die Wand gebracht tragen sie an der Oberseite U-Förmige Stahlformen, in welche ihrerseits wiederum die Leisten eingehängt werden, an die die Malereien am oberen Rand befestigt wurden. So hängt die Malerei frei. Die Mobilität dieser großformatigen Arbeiten ist dabei gesichert durch die eigens für diesen Zweck konstruierten Stäbe, mit deren Hilfe sich die Bilder auf-, ab- und umhängen lassen.

Diese Aufmerksamkeit für technische Lösungen zeigt den hoch frequentierten und sensiblen Umgang mit einer äußeren und inneren Stimmung, innerhalb derer die Dinge von Maximilian Neumann schließlich zusammenfinden.