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ROOM NO. 3

by Nina Mende
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#4 

WERHAHN & PUSCHENDORF

ROOM NO. 3        

3.7.15 – 2.8.15

 

For SEIZING THE IVORY TOWER #4, Julia Werhahn und Luisa Puschendorf develop a new installation that deals with the ambivalence of public and private spaces. Both artists have been concerned with this topic a for an extended period, and create sensitively, fully composed scenarios, which show different ways in which people arrange their lives, and how they attempt to adapt within it. In their installation ROOM NO. 3, the visitor encounters a sort of futuristic lobby: flooded with light, the sculptures are presented behind glass, and seem to enclose the conserved past and at the same time also a promising future. The room is an exhibition space and a waiting room at once. Whether the art or the viewer is at the center of attention is a question left unanswered.

 

Curated by Nina Mende

 

 

Gewöhnliches Leben im ambivalenten Raum - Anlässlich der Ausstellung „Alles wie gehabt“ von Werhahn & Puschendorf

by Nina Mende
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Absurde Räume, die von unseren Sehnsüchten und Ängsten gleichermaßen erzählen; künstlich geschaffen und inszeniert, und doch halten sie uns auf eindringliche Weise vor, wie wir uns mit dem Leben arrangieren und uns darin einzurichten versuchen: Julia Werhahn und Luisa Puschendorf konstruieren mit Vorliebe ambivalente Orte. In ihrer Ausstellung im Kunstschaufenster des Hallenbad Wolfsburg ist es die Ambivalenz von Chaos und Ordnung, von Sicherheit und Bedrohung, von häuslicher Intimität und beunruhigender Transparenz. 

Ein merkwürdig diffuser Wind weht noch durch das Durcheinander von Möbeln, Zimmerpflanzen und jenem Krimskrams, der meist für Gäste unsichtbar in diversen Schubladen verstaut wird. Hier scheint vor Kurzem ein Sturm gewütet zu haben, der zuvor sorgfältig Angeordnetes und Einsortiertes umgewälzt und Sinnloses und Vergessenes wie Treibgut an die Oberfläche gespült hat. Die Möbel sind unverkennbar traditionell, vermitteln uns ein Urbild deutscher Gemütlichkeit. Und ein bisschen mutet es spießbürgerlich-pragmatisch an, dass in all dem Chaos gerade Sessel, Kaffeetisch und Zimmerpflanzen schon wieder eine alte Ordnung erreicht haben. Hinter der Schaufensterkulisse ertönte zur Eröffnung sogar muntere Marschmusik, die – teilweise von der Silber glänzenden Belüftungsanlage übertönt – dennoch zupackenden Optimismus, Ordnung und Disziplin propagierte. Doch immer noch hängt das mögliche Unwetter wie ein Damoklesschwert in Form von gut sichtbaren Lüftungsrohren über der Szenerie, die dadurch noch deutlicher als Konstrukt erscheint und in ihrer Absurdität noch verstärkt wird – scheint doch der technische Aufwand weit höher gewesen zu sein, als es das Ergebnis vermuten lassen würde. 

Die Stadt Wolfsburg und ihre Rolle als Vorzeigestandort der Autoindustrie, als Wohn- und Arbeitsort vieler Volkswagenmitarbeiter, deren persönliche Sicherheit von der wirtschaftlichen Lage des Konzerns abhängig ist, war für Julia Werhahn und Luisa Puschendorf impulsgebend für diese Arbeit. Stadt und Konzern haben eine bewegte Geschichte hinter sich: Seit der Gründung von Volkswagen Ende der 1930er Jahre wurde Wolfsburg als Wohnstadt mit einer passenden und funktionalen Infrastruktur für das Leben von Angestellten und Leiharbeitern ausgebaut. Im Zweiten Weltkrieg wurden große Teile der Stadt zerstört, daraufhin hat man sie nach und nach neu auf- und ausgebaut. Die Sicherheit der Arbeitsplätze scheint hoch, bis immer wieder doch Entlassungspläne öffentlich werden. 

„Alles wie gehabt“ – der Titel klingt wie das „muss ja“ eines flüchtigen Bekannten, der auf die Frage nach dem „Wie geht’s?“ ausweichend und wortkarg reagiert. Dieses Begrüßungsritual wiederholt sich stetig und überall. Die stoische Antwort spiegelt den Unwillen wider, die Widrigkeiten des Alltags zu sehr ins Bewusstsein zu rücken. Fast wie ein Ritual wiederholen sich auch die wirklichen Tragödien und immer treffen sie den Einzelnen unerwartet. Doch nach jeder Umwälzung des Lebens wird wieder mit Mühe und Geduld eine Grundnormalität wiederhergestellt – es wird im größten Chaos wenigstens der Sessel zurechtgerückt und die Kaffeetafel gedeckt. Jede Generation hat ihre Ängste, Dramen und Gefahren, doch die Sehnsucht nach Sicherheit ist immer die gleiche. 

Der Blick in das Schaufenster ist ein Blick in das Wohnzimmer unserer Großeltern und gleichzeitig in die Einrichtung unseres eigenen. Alles darin strahlt Sicherheit, Gemütlichkeit und Beständigkeit aus. Doch die Bedrohung von außen, das Leben, kann diesen Schutzraum jederzeit zu Fall bringen. 

Auch in der Ausstellung steht der imaginäre Bewohner wortwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Er befindet sich in seinem persönlichen beengten Drama, in dem er zuvor fälschlicherweise Zuflucht suchte; sein Blick ist dabei immer auf die Realität, das Außen gerichtet. Diese Realität blickt durch das Glas auf ihn zurück; ebenso wie die Betrachter der Installation, die wie Schaulustige aus einer fast sicheren Distanz heraus das Unglück beobachten – zwar ohne direkt betroffen zu sein, aber immer mit dem Gefühl, dabei großes Glück gehabt zu haben. Wie in einem Diorama ist hier die häusliche Katastrophe beispielhaft aber lebensgroß konserviert und zur allgemeinen Anschauung drapiert. 

Die durchdachten, räumlichen Inszenierungen und zwiespältigen Stimmungen, welche die Arbeiten von Werhahn & Puschendorf so besonders machen, lassen an die großformatigen, inszenierten Leuchtkasten-Fotografien von Jeff Wall denken. Dieser schuf für seine Fotografien oftmals ganze Räume, denen ein bestimmtes kunstgeschichtliches oder literarisches Vorbild als Thema und Sehnsuchtsmoment diente. Diese lichtdurchlässigen Abbilder eines Raumes wurden in Leuchtkästen fast zu dreidimensional wirkenden Trompe-l’œil Gemälden, die den Betrachter gleichermaßen hineinziehen und davor zurückschrecken lassen. Wall ist ein Meister darin, ambivalente Stimmungen und Erkenntnisse menschlicher Eigenheiten in ungewöhnlichen Räumen heraufzubeschwören. 

Die Angst vor dem totalen Zusammenbruch von Ordnung und Sicherheit, die bei Alles wie gehabt im Zentrum steht, hat Jeff Wall eindrücklich in Destroyed Room (1978) inszeniert. Vorbild war hier La mort de Sardanapale (1827) von Eugène Delacroix, ein Gemälde, dass sich auf eine griechische Sage um den König Sardanapal bezog und dessen Niedergang durch den übermächtigen Feind, eine zerstörerische Flut und ein selbstgelegtes Feuer, um die Schätze nicht dem Feind überlassen zu müssen. 

Wall hat das Inferno aus dem antiken assyrischen Palast in die Gegenwart transferiert und das verwüstete Schlafzimmer einer vermutlich jungen Frau für sein Foto arrangiert. Ähnlich wie bei Werhahn & Puschendorf in Wolfsburg sind hier Möbel umgerissen und Schubladen ausgeräumt – nichts ist mehr an seinem Platz. Nur eine zarte Porzellanfigur steht noch unversehrt auf der Kommode, als kleines Zeichen der Hoffnung wie im Kunstschaufenster das Kaffeeservice. Auch bei Wall handelt es sich um eine Studie des menschlichen Strebens und Sehnens sowie dessen Abgründe. Auch hier wird die Kulisse absichtlich als eine Inszenierung enttarnt, deren Aufwand erheblich war. 

Die Stimmungen, die in den Räumen von Julia Werhahn und Luisa Puschendorf herrschen, sind nie eindeutig positiv oder negativ. Dem Vertrauten fügen sie immer einen Hauch des Fremden, Bedrohlichen oder Unerreichbaren hinzu. Lose herabhängende Fototapeten, die eben noch ein Paradies greifbar erscheinen ließen, hängen kopfüber (Fresia Decor 112) oder werden durch heiße Luft und reflektierendes Licht ihrer Rest-Illusion beraubt (Final Wideness). Der Sessel oder Stuhl, der für imaginäre und reale Personen in so mancher Installation bereit steht, muss erst mühsam und mutig erreicht werden (requisit ag 06/13), lädt bei näherem Hinsehen nicht zur erhofften gemütlichen Kontemplation ein (Fresia Decor 112) oder wird zu einem Teil einer sowohl surrealen als auch altbekannten Situation des täglichen Lebens (Room No. 2, waiting for). 

Die unbelebten Räume spielen dabei immer mit einer möglichen Benutzung. Dem Betrachter wird nahegelegt, dass er selbst hier fehlt oder jemand Fremdes diesen Ort gerade erst verlassen hat. Am Ende geht es nicht wirklich so sehr um den Raum, als vielmehr um die Umstände und Eigenheiten des Lebens und um den Menschen, der diesen Ort mit Sinn füllt und dessen Anwesenheit und Wirken auch in seiner Abwesenheit noch spürbar bleiben.