WOHL noch
Lisa
Busche zieht Linien mit der Sprühdose – eine Technik, die spontan an profane
oder gar anarchische Graffitis im Stadtbild denken lässt. Doch wo in der Street
Art die poppige Farb- und Formenvielfalt meist grell und laut daherkommt, sind
es hier minimalistische Gesten und die reduzierte Farb- und Formensprache, die
ihr Werk bestimmen.
Den
messingfarbenen Ton der VITRINEN-Rahmen aufnehmend, verwendet die Künstlerin
neben schwarzer Sprühfarbe vorwiegend goldene, mit der sie ausgehend von
frühzeitlicher Ornamentik Linien auf die Glasscheiben und Wände bringt. Die
ursprüngliche einfache Form des Ornaments wird innerhalb ihrer Erscheinung
nochmals abstrahiert oder weitergedacht. Ungenauigkeiten oder gar Pannen werden
unkorrigiert in das Werk mit eingebunden, so dass sich autonome Strukturen herausbilden,
die den handwerklichen Arbeitsprozess in Erscheinung treten lassen und das Werk
auch so von einer perfekten, rein gestalterischen Form abgrenzen. Kontrolle und
Zufall lassen die Linienführung zwischen Werden und Auflösung, zwischen klarer
Zeichnung und diffusem Farbauftrag changieren. Je nach Betrachterposition und
Lichteinfall schimmert der Goldton der Sprühfarbe oder aber er versiegt stumpf
im Schatten als dunkle Linie.
Ein
ähnliches Verfahren kennzeichnet die zugeschnittenen Nesseltücher, die
vereinzelt auf Wände, Boden oder Glasscheiben der Vitrinen positioniert sind.
Gestische Spuren schwarzer Sprühfarbe, aber auch Flächen bilden mit den Fasern
und Falzungen des Stoffs eine Struktur zwischen Offenheit und Strenge.
Gemeinsam mit den goldenen Ornamenten verschränken sich die textilen Objekte in
einem Moment zu einer bildhaften Gesamtkomposition, um sich im nächsten
Augenblick wieder als autonomes Werk zu verselbstständigen.
Trotz
der formalen Reduziertheit ist das Bild, das hier entsteht, ein komplexes. Es
ist ein Bild, das sich erst aus der Bewegung heraus komplett entfaltet – aus
der Verschränkung mehrerer Raumebenen und Perspektiven, aus Farbverläufen,
Reflexionen und der Gleichzeitigkeit von zweiter und dritter Dimension.
Mit
der Einbeziehung der Vitrinenscheiben als Präsentationsplattform der Werke
werden die von Glaswänden festgelegten Grenzen zwischen Kunstwerk und
Betrachter aufgelöst und die dem Ausstellungsformat per se eingeschriebene
Hoheit der Kunst untergraben. Das Kunstwerk wird greifbar, aber auch
verletzlich.
Lisa
Busche spielt mit der Idee des Sublimen, Heiligen und bedient sich
entsprechender Codes, um sie im gleichen Atemzug zu brechen. So auch, wenn sie
im Innenraum der Vitrinen Werke in den Fokus rückt, die in ihrer textilen
Beschaffenheit womöglich an sakrale Wandteppiche denken lassen, sich mit ihrer
formalen Offenheit aber sämtlicher symbolischer Aufladung verweigern. Aber auch
dann, wenn die goldene Farbigkeit mit ihrer Symbolkraft im Schatten verblasst
oder den liturgisch besetzten Zeichen die profane Geste des Sprayens
entgegensteht. Und auch, wenn die gesprühten Linien der Ornamente auf den
Scheiben sich aufzulösen scheinen oder ein schwarzer Querbalken die komplette
Glasfront brutal durchzieht.
Die
der Ausstellung zugrunde liegende formale und inhaltliche Uneindeutigkeit
spiegelt sich auch in der Wortwahl des Titels wider. Während die Künstlerin
unbestimmte und mehrdeutige Begriffe, die sie in einem Wortarchiv sammelt,
früher noch visuell in ihre Werke mit einfließen ließ, dienen sie ihr
inzwischen als intuitiver sprachlicher Ausgangspunkt und Stimmungsträger. Neben
den Füllwörtern „wohl“ und „noch“ ging der Arbeit in den Vitrinen der Begriff
„verehren“ voraus.
Lisa Busche (*1973 in Hamburg) studierte von 2000 bis 2006 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und war Meisterschülerin bei Walter Dahn, sie lebt und arbeitet in Köln.
Text: Jari Ortwig VITRINEN
Rubensstraße 42
50676 Köln
www.rubensstrasse42.wordpress.com